Schlaganfall und Demenz

Die meisten Menschen glauben, dass sich eine Demenz nur langsam und über Jahre entwickelt. Auf die Hauptform dementieller Erkrankungen, den Morbus Alzheimer, trifft das tatsächlich zu. Dieser kommt durch allmähliche Ablagerung fehlgefalteter Proteine zustande, die Funktionsverluste in Nervenzellen des Gehirns verursachen. Hirnareale können aber auch sehr schnell ihre Funktion verlieren: Durch einen Schlaganfall.

Wie kommt es nach Schlaganfällen zur Demenz?

Ein Schlaganfall hat zwei mögliche Auslöser: die Minderdurchblutung (Ischämie) oder das Reißen (Hämorrhagie) von Hirngefäßen. Beide führen dazu, dass die von den betroffenen Gefäßen versorgten Nervenzellen nicht genügend Blut und damit Sauerstoff bekommen und absterben. Ein solcher Verlust ist irreversibel, denn beim Erwachsenen wachsen Nervenzellen nicht mehr nach und werden nicht ersetzt.

Besonders auffällige Folgen eines Schlaganfalles sind die meist einseitigen motorischen Lähmungen sowie Seh- und Sprachstörungen. Nicht immer sind Bereiche des Gehirns betroffen, die für Bewegungen, Sehvermögen oder Sprache verantwortlich sind. Ebenso können Hirnregionen ausfallen, die für kognitive, soziale und emotionale Funktionen verantwortlich sind – Defizite, die für das Erscheinungsbild einer Demenz typisch sind.

Eine Demenz, die durch die Beeinträchtigungen von Hirngefäßen zustande kommt, bezeichnet man als vaskuläre (gefäßbedingte) Demenz. Sie ist nach Alzheimer mit 15 Prozent die zweithäufigste Ursache für Demenz. Weitere Informationen zum Thema vaskuläre Demenz finden Sie hier.

Wie unterscheidet sich die vaskuläre Demenz von Alzheimer?

Bei Alzheimer handelt es sich um eine degenerative Erkrankung, deren Symptome sich über Jahre hinweg stetig verschlimmern. Nach und nach lagert sich Amyloid im Gehirn ab und führt zu zunehmenden Degenerationserscheinungen mit Einschränkungen kognitiver, sozialer und emotionaler Merkmale eines Patienten.

Dagegen verschlechtert sich eine vaskuläre Demenz stufenweise. Das liegt daran, dass sich die Gefäßbeeinträchtigungen nach und nach in zeitlichen Abständen ereignen. Jeder Schlaganfall, egal wie ausgedehnt er ist, ist ein einzelnes Ereignis, das sich jederzeit wiederholen kann. Sein Ausmaß entscheidet darüber, wie hoch die Stufen, das heißt wie umfangreich die sich ergebenden kognitiven Verluste sind.

Oft tritt im Verlauf einer vaskulären Demenz vorübergehend eine leichte Besserung der Symptome auf, da umliegendes Nervengewebe viele Ausfälle in gewissem Umfang zu kompensieren vermag.

Weiterhin sind die neurologischen und psychiatrischen Begleiterscheinungen bei Morbus Alzheimer relativ einheitlich, bei einer vaskulären Demenz jedoch sehr unterschiedlich. Das liegt daran, dass die Symptomatik wesentlich von Art und Lokalisation der Hirnschädigungen abhängen. Bei Alzheimer ist das gesamte Hirn von der Degeneration betroffen, wohingegen bei der vaskulären Demenz die Infarkte nur einzelne Bereiche mit unterschiedlichen Funktionen beeinträchtigen.

Klassifikation der vaskulären Demenz

Wichtig für die Klassifikation der vaskulären Demenz sind Lokalisation, Art und Ausdehnung der auslösenden Schlaganfall-Ereignisse. Diese Faktoren entscheiden, zu welchen kognitiven Defiziten es kommt und welche neurologischen und psychiatrischen Symptome auftreten.

Einzelinfarkt-Demenz (Post stroke-Demenz). Ein einzelner ausgedehnter Schlaganfall an ungünstiger Stelle des Gehirns reicht bisweilen aus, um einen zuvor unauffälligen Patienten dement zu machen. In der Regel macht er sich zusätzlich mit den typischen Symptomen wie Lähmungserscheinungen und Seh- sowie Sprachstörungen bemerkbar.

Multi-Infarkt-Demenz (Multiple Infarkte). Schlaganfälle müssen nicht mit allen typischen Beschwerden auftreten, sondern verlaufen oftmals unbemerkt. Die Verstopfung kleiner Gefäße führt zu wiederholten „stummen Infarkten“. Diese legen nach und nach kleine Hirnbereiche lahm, ohne dass der Betroffene viel davon mitbekommt. Die einzelnen ischämischen oder hämorrhagischen Ereignisse sind nur klein und treten in zeitlichen Abständen auf. Letztlich summieren sich ihre Auswirkungen zu den gleichen Folgen, wie man sie von einem typischen Schlaganfall kennt.

Hämorrhagische Demenz (Hirnblutungen). Ähnliches gilt für die hämorrhagische Demenz, bei der kleine Hirnblutungen zu kognitiven Verlusten führen. Ursachen für diese Form sind die Amyloidablagerungen bei Alzheimer und/oder langjährig bestehender Bluthochdruck, die kleine Gefäße des Gehirns schädigen (zerebrale Amlyoidangiopathien und zerebrale Mikroangiopathien).

Strategische Infarkt-Demenz (strategic infarct dementia). Für erhebliche funktionale Ausfälle müssen nicht zwangsweise große Hirnareale von einer Ischämie oder Hämorrhagie betroffen sein. Findet ein entsprechendes Ereignis an einer strategisch ungünstigen Stelle statt, zieht das wichtige Leitungsbahnen des Nervensystems in Mitleidenschaft. Die Schäden sind dann trotz geringer Ausdehnung immens. Solche wichtigen Nervenfasern finden sich beispielsweise im frontalen Marklager oder im Thalamus.

Subcorticale ischämische Demenz (subcorticale arteriosklerotische Enzephalopathie, Morbus Binswanger). Bei dieser Form der schlaganfallbedingten Demenz finden sich Läsionen im Marklager der Weißen Substanz, in denen einzelne Zysten (Lakunen) aus eingeschmolzener, von Infarkt und Nekrose betroffener Hirnsubstanz auftreten.

Vaskuläre Demenz und Alzheimer: Mischformen

Eine bereits bestehende Alzheimer-Erkrankung verhindert nicht das Auftreten von Schlaganfällen und vaskulärer Demenz. Dementsprechend sind sogenannte Mixed Dementias relativ häufig. Bei Untersuchungen von Gehirnen zeigt sich, dass Demenzpatienten selten an nur einer einzigen Form von Demenz leiden. Solche Mischformen erschweren die Diagnose erheblich.

Besonderheiten der vaskulären Demenz

Bislang ist die vaskuläre Demenz die einzige dementielle Erkrankung, bei der eine Prophylaxe möglich ist. Denn hier ist genau wie beim klassischen Schlaganfall die Ursache in den meisten Fällen eine Arterienverkalkung (Arteriosklerose). Sie begünstigt die Bildung von Blutgerinnseln und durch zunehmende Porosität der Gefäße das Auftreten von Blutungen. Bekämpft man die sechs Risikofaktoren – Diabetes, Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen, Rauchen, Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen – kann man nicht nur Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkte, sondern auch Schlaganfälle und vaskuläre Demenz weitestgehend verhindern.

Quellen, Links und weiterführende Literatur

  1. Informationen zu Demenz und ihren Formen wie Alzheimer und vaskuläre Demenz: Link.
  2. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DNG):
  • Martin Dichgans:
    S1-Leitlinie Vaskuläre Demenzen.
    AWMF-Register-Nummer 030/038). Link.
  • Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie: S3-Leitlinie Demenz.
    (AWMF-Register-Nummer 038-013). PDF.
  1. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF):
  • Leitlinie Schlaganfall: Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke. (AWMF-Register-Nummer 030-133).
  • Langfassung PDF.
  • Kurzfassung PDF.
  • Leitlinienreport PDF.
  1. Hachinski V, Iadecola C, Petersen RC, Breteler MM, Nyenhuis DL, Black SE, Powers WJ, DeCarli C, Merino JG, Kalaria RN, Vinters HV, Holtzman DM, Rosenberg GA, Wallin A, Dichgans M, Marler JR, Leblanc GG.
    National Institute of Neurological Disorders and Stroke-Canadian Stroke Network vascular cognitive impairment harmonization standards.
    Stroke. 2006 Sep;37(9):2220-41. Epub 2006 Aug 17. PDF.
  1. Moulin S, Labreuche J, Bombois S, Rossi C, Boulouis G, Hénon H, Duhamel A, Leys D, Cordonnier C.
    Dementia risk after spontaneous intracerebral haemorrhage: a prospective cohort study.
    Lancet Neurol. 2016 Jul;15(8):820-829. doi: 10.1016/S1474-4422(16)00130-7. Epub 2016 Apr 28.